Diskriminierungssensible Kreation
Ach, das können wir doch schnell recherchieren, oder? Zielgruppen, Verhalten, Vorlieben – viel lässt sich vom Schreibtisch aus erledigen oder durch eine Marktforschung, die der Kunde beim Briefing mit schickt, abdecken. Doch wer kreativ für bestimmte Zielgruppen arbeitet, stößt an Grenzen. Vor allem wenn es um diskriminierungssensible Themen geht. Kann ein komplett weiß besetztes Team auch inklusive Werbung für BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) konzipieren? Kann ein cis-heterosexuelles Team eine Kampagne für queere Menschen aufsetzen?
Können schon, die Frage ist allerdings, wie sieht es mit dem Ergebnis aus. Anstatt erfolgreicher Kommunikationsmittel entstehen dann oft Klischeeschleudern oder schlimmer noch, Gewalt wird reproduziert. Eigentlich sollten Diskriminierungsthemen längst als selbstverständlich abgeschafft sein, und ein heterogenes und diverses Team in Agenturen das Normalste der Welt sein. Das ist sicherlich auch oft der Fall, wir möchten hier jedoch noch einmal sensibilisieren.
Kreation aus der Perspektive der Erfahrung heraus
In vielen Gewerken gilt Expertise als wichtig, vor allem wenn es um technische Expertise geht. "Können wir noch fix eine Social-Paid-Expertin dazu holen, damit sie unsere Ad-Strategie checkt? Haben wir einen Strategen im Haus?" Das sind Fragen, die sich viele Teams stellen. Aber die gleiche Sorgfalt gilt auch gegenüber sozialen und diskriminierungssensiblen Themen. Wieso sollte sich ein komplett weißes Team also anmaßen zu verstehen, wie es sich als rassifizierte Person anfühlt, angesprochen zu werden? Woher sollen "cis-Menschen" die Sensibilität für "trans-Themen" nehmen? Ein guter Verbündete*r zu sein, heißt auch zuzuhören und zu wissen, wann die eigene Perspektive nicht mehr reicht, ab wann andere die Bühne betreten dürfen.
Und es ist doch viel spannender in den Dialog zu gehen und ein Konzept zu challengen. Kreative Arbeit besteht aus einem Prozess der Iteration und Integration von Feedback. Vielleicht kommen so Erkenntnisse auf, für die die Beteiligten vorher kein Gespür hatten: Stimmt, wir haben jetzt nur weiße schwule Pärchen in der Kampagne, aber Queerness ist so viel diverser. Oder: Stimmt, wir haben nur weiße Menschen im Vordergrund, alle PoC-Personen sind immer im Hintergrund.
Beispielbriefing: Diverses Dating
Nehmen wir ein Beispiel: Ein Datingportal will eine Kampagne mit diversen Bildmotiven, divers in Hautfarbe, in Datingsituationen und anderen Aspekten. Der Kunde weiß also schon: Will ich bei meiner Zielgruppe landen, muss ich gegenwärtige Werte kommunizieren. Um in der Bildwelt nicht auf überladene Klischees zu gehen, kann es durchaus sinnvoll sein, sich Expertise aus den diskriminierungssensiblen Gruppen zu holen. Folgende Fragen kann ein Team sich dann stellen: Welche Erfahrungen haben wir im Team verankert? Welche Kompetenzen können wir uns reinholen? Dabei ist es, um beim Beispiel der technischen Kompetenzen von oben zu bleiben, keine Schande zu sagen: Wir haben keine queere Person im Team, aber wir würden das gerne ausgleichen. Wir haben keine Person im Team, die sich mit Alltagsrassismen auskennt, aber wir können uns diese Expertise reinholen.
Ein erster Schritt kann sein im direkten Umfeld (Agentur, andere Dienstleister) zu schauen, wer beraten kann. Idealerweise bringen die Menschen nicht nur eine diskriminierungssensible Expertise mit, sondern auch eine fachliche. Hatten wir nicht eine PoC-Designerin als Freelancer? War unser Texter von letzten nicht ein trans Mann? Natürlich ist nicht jede Person, nur weil sie entsprechend sozial positioniert ist, gewillt, auch darüber zu sprechen. Aber eine vorsichtige und höfliche Anfrage kann Türen öffnen. Wichtig ist hierbei: Fragen kostet zwar nichts, aber Beratung gehört bezahlt. Nur weil eine Person queer ist, will sie noch keine kostenlose Arbeit leisten. Im Gegenteil: Gerade marginalisierte Menschen sind stärker belastet und eine Vergütung für die Beratung ist nur fair.
Kein Denk- oder Sprechverbot, sondern professionelles Arbeiten
Darf man denn jetzt gar nichts mehr sagen, oder was? Eine Frage, die eigentlich immer nur aus schlecht reflektiertem Privileg kommt. Ein Prinzip aus dem Aktivismus ist: Nicht über uns ohne uns. Warum sollte sich diese Idee nicht auch in die Kreation, Gestaltung und Umsetzung von Ideen in der Kreativbranche übersetzen? Wenn wir Marginalisierung nicht als Abwertung verstehen, sondern als Kompetenz, dann wird aus den verschiedenen Erfahrungsspektren eine wertvolle Ressource für die Kreativität. Das soll nicht unsichtbar machen, dass auch innerhalb von marginalisierten Gruppen eine große Bandbreite an Erfahrungen und Einstellungen existiert. Aber wenn kreatives Arbeiten und Kommunikation gelingen soll, dann ist sie so sehr auf Augenhöhe mit der Zielgruppe, dass etwas passiert. Und dafür arbeiten wir doch in der Branche, oder? Um Menschen zu berühren, zu begeistern und mitzunehmen.
Und manchmal muss man davor eben zuhören oder selbst einen Schritt zurücktreten. Diskriminierungssensible Kreation bringt keine Einschränkung, sondern eine spricht Einladung aus, etwas über die Welt um uns herum zu lernen. Die Kunden freut’s mit Sicherheit.
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