Wir nutzen Tracking (insb. Cookies), um unsere Webseiten für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern

Dockblog - Die Arbeitswelt der Kreativen

©pic by Christoph Sackerer

Stellen wir uns vor: jemand wird neu ongeboardet. Was passiert idealerweise an Tag 1?

Da lernt man sich - wie bei jeder Beziehung - am besten erstmal kennen. Man beschnüffelt sich, schaut, ob die Chemie stimmt; ob man miteinander kann; miteinander gehen will. Und wenn beide wollen, dann arbeitet man ab diesem Zeitpunkt zusammen daran, eine Beziehung zum Laufen zu bringen. So läuft das normalerweise doch, oder?

Und irgendwann ist es dann so weit und der erste gemeinsame Arbeitstag wird zum Proof-of-Concept. Richtig: in meinen Augen beginnt der Prozess des Onboardings idealerweise mit dem ersten Kontakt.

Meet the Team, Ingwerwasser-Tasting, Erfolge feiern, Bier ab Vier - hey, es gibt so viele Möglichkeiten sich im lockeren Rahmen kennen zu lernen, da muss man doch nicht erst mit dem schnöden Alltag anfangen. Was spricht denn dagegen, dass euer Neuzugang schon vor dem offiziellen Arbeitsbeginn im Team dabei ist?

Aber bitte! Nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen: Für Styleguide, Corporate Culture Manual und all die tollen Collaboration Tools ist auch nach dem ersten Arbeitstag noch genug Zeit …

 

Lange Präsentation, zu viele neue Tools: was sind typische Fehler?

 

Vielleicht beantworte ich die Frage etwas ausführlicher mit meinem „Ersten Tag“ in einer größeren Agentur: Mit Mitte 30, Throw Back zum Tag meiner Einschulung.

Zusammen mit ca. 25 anderen Neuzugängen durfte ich im Saal „Nordwand“ eine allumfassende Einführung in das agentureigene Zeiterfassungs- und Projektmanagement-Tool samt all seiner „Entwicklungsfelder“ erfahren sowie eine mehr als einstündige Präsentation über die Heldentaten der Agentur und ihrer Gründer über mich ergehen lassen, wurde dann zur Frischfleisch-Beschau durch alle Abteilungen getrieben, um schließlich in der Materialausgabe ein paar Stifte (mit Logo!), Blöcke und einen neuen Papierkorb - dafür wirst du die nächsten Jahre arbeiten - ausgehändigt zu bekommen. Wohl unbeabsichtigt dafür aber auch wenig subtil auf das geprimet, was da auf uns zukommen wird, warteten wir schließlich in der Lobby darauf, einzeln von unseren Teamleads, CDs oder was auch immer aufgerufen und abgeholt zu werden.

Mal ehrlich: Was soll das? Wir sind doch alle Menschen. Und wenn wir wo neu sind, dann freuen wir uns darüber willkommen geheißen zu werden, über Zuspruch und darüber, mit unseren Bedürfnissen wahr genommen zu werden. Eben als Mensch und nicht als Zweckerfüller. Alles andere findet sich. Sogar die Zugangsdaten zur Zeiterfassung …

 

Und wenn jemand jetzt schon gehen will? Was tun?

 

Da sind wir wieder an dem Punkt, warum ich der Meinung bin, dass ein Onboarding bereits weit vor dem ersten Arbeitstag beginnt. Denn wenn es nicht einfach nur ein schnödes Taktieren um mehr Freizeit, Geld oder einen Titel ist, dann gibt es schon viel früher Anzeichen dafür, dass jemand gar nicht erst bei dir anfangen will. Lotto-Gewinn und andere hyperrealistische kurzfristige Game Changer mal ausgeschlossen …

Jetzt heißt es, zu versuchen, miteinander ins Gespräch zu kommen und weiter zu denken. Die Dinge besprechen und gemeinsam überlegen, was Ursache und was Wirkung ist und welche Anpassungen nötig und möglich sind, um ein gemeinsames Arbeiten zu ermöglichen.

Helfen kann auch zum Beispiel eine Moderation, eine individuelle Begleitung bei
Identifikation, Motivation und Entwicklung. Das hat über das Inhaltliche hinaus den Vorteil einer starken Symbolwirkung: Es verdeutlicht die Wertschätzung und das Interesse am Anderen über die Arbeitskraft hinaus. Klar, das kostet wieder Zeit und Geld, ist aber im Vergleich zu den direkten und indirekten Kosten, die mit einer Neuausschreibung verbunden sind, sicherlich weitaus günstiger.

 

Welche Systeme gibt es, um das Ankommen zu erleichtern?

 

Ich sags wie’s ist – ich bin kein Fan davon, Mitarbeiter zusätzlich mit der Rolle eines Tutoren, Mentoren, Buddy’s oder ähnlichem zu betrauen. Auch wenn es auf den ersten Blick wie der heilige Gral des Teambuildings scheint:

Sie stellen einen Webdesigner schließlich ein, damit er mit seinem Können und seinen Fähigkeiten termingerecht multimediale Erlebnisse schafft. Am liebsten durch die Bank awardverdächtig und enorm verkaufsfördernd. Und davon möglichst viel. Schließlich muss es sich unterm Strich ja auch noch rechnen.

Wo sollen da die nötigen Ressourcen - ganz zu schweigen vom Können - her kommen, um für den Neuzugang ein wertvoller Ansprechpartner zu sein, der sich die Zeit für Schwierigkeit und Nöte nimmt? Wie soll denn da ein reflektierter Blick auf das System Agentur möglich sein, um, zum Beispiel toxisches Verhalten zu erkennen? Und was ist mit der entsprechenden Dokumentation? Und wie steht es um das Thema Konkurrenz?

Face Reality Buddy: Im dümmsten Fall bleibt der Neuzugang nicht bis zum Ende der Probezeit und der zur Seite gestellte Mitarbeiter kündigt, weil er mit seinem Workload nicht zurechtkommt  … hab ich alles schon gesehen.

Und doch: die Idee eines wie auch immer genannten Mentors ist charmant. Jedoch könnte ich mir vorstellen sie lieber als eigene Stelle zu beschreiben, oder, besser noch, extern zu besetzen. Denn das gewährleistet noch mehr den neutralen Blick auf das Gesamtsystem der Agentur. On Site und im Homeoffice.


Wie lässt sich Kultur vermitteln? Kann man Kultur überhaupt vermitteln?

 

Drehen wir es um: es ist nicht möglich, keine Kultur zu vermitteln. Jedes Unternehmen lebt seine Kultur und die vermittelt sich von ganz alleine. Ich kann daher sehr empfehlen, kontinuierlich daran zu arbeiten, dass diese Kultur lebenswert ist.

Keine Frage, Menschen Orientierung zu bieten, hilft immer. Die Crux besteht halt darin, dass das, was du mit Formulierungen wie „wir legen Wert auf …“, „uns ist wichtig, dass …“, „wir achten …“ als attraktive Unternehmenskultur vermitteln möchtest, meist idealisiert ist und nur selten mit dem übereinstimmt, was im Unternehmen tatsächlich gelebt wird.

Die Erfahrung zeigt: ein Gap zwischen Wunsch und Wirklichkeit in Sachen Corporate Culture hat sich noch immer aufgetan und war und ist meistens auch Trennungsgrund.

Was mich bei dieser Frage vor allem anstößt, ist der darin implizierte Gedanke, dass sich ein Individuum in ein System einzufügen hat, sich unterordnen soll. Wäre es nicht viel wertvoller, Ideale und Ideen miteinander zu diskutieren, stete Anpassung zu fordern und zu fördern. Warum nicht offen für neue Impulse sein? Den unvoreingenommenen Blick von außen zuzulassen und mehr daraus machen? Dialog statt Diktat? Ausrufezeichen! Ja: Dialog statt Diktat – das ist meine pragmatische Antwort auf die Frage.


Halbzeit: Wir sind bei Tag 50. Was ist hier wichtig?

 

Irgendwann ist er vorbei, der Zauber, der allem Anfang inne wohnt. Und dann wird es Zeit, da hinzuschauen, wo es weh tut, wo es ruckelt, wo der Schuh drückt. Die Erfahrung zeigt, dass das am leichtesten geht, wenn man eh schon im Gespräch ist; wenn man eine Beziehung hat.

Die suggestive Momentaufnahme „Und? Alles gut?“ hat noch nie die Wahrheit ans Licht gebracht. Und wer beim Gespräch am Ende der Probezeit nicht aus allen Wolken fallen will, der sollte spätestens jetzt mal die Fühler ausstrecken und alle Beteiligten gezielt zu Arbeit, Zusammenarbeit und Bedürfnissen befragen. Und spätestens von da an dran bleiben.

Wünschenswert ist doch, dass man miteinander darüber Spricht, was gut läuft, aber auch, was man noch verbessern kann. Und das ist in meinen Augen keine Einbahnstraße sondern vielmehr ein wertschätzender Dialog. Ein konstruktives Miteinander um weiter zu kommen und gemeinsam mehr zu erreichen: Feedback kann man das schon nennen. Mir gefällt besser: Feedforward.


Welche Rolle spielt das Team beim Onboarding? Wie kann es einbezogen werden?

 

Das Tolle ist doch, dass das Team automatisch mit einbezogen ist. Schwierig wird es halt, wenn es nicht mit einbezogen werden will. Aber dann hast du ein Problem im Unternehmen und nicht beim Onboarding …

Wie vorhin schon gesagt: ein Neuzugang ist ein Impuls von außen in ein bestehendes System. Nicht nur formell ändert sich etwas. Auch informell werden Rollen neu verhandelt, Aufbruchstimmung und Sehnsucht nach den alten Strukturen ringen miteinander, Gefühle und Erwartungen bestimmen das Handeln: Hoffnung, Angst, Hilfe, Konkurrenz … jeder im Team wird anders reagieren.

Sicher – das ganze wird sich mit und ohne dein Zutun regulieren. Und das ist jetzt alles andere als die Aufforderung sich zurückzulehnen. Vielmehr heißt es am Puls bleiben, Augen und Ohren auf, den Blick auf das Ganze haben, Bedürfnisse hören und kontinuierlich mit kleinen, leichten Interventionen im Sinne des Unternehmens Einfluss auf die Entwicklung im Team nehmen. Da ist viel möglich. Einziges no go: let it flow …

Gruppendynamik ist ein fragiles Spiel und die Regeln werden vor allem in der Anfangsphase gemacht. Je länger Befindlichkeiten übergangen werden, sich ein Verhalten etablieren kann, sich neue oder alte Muster einschleifen, umso schwieriger und intensiver wird es, wenn nötig, korrigierend einzuwirken.


Geschafft. Tag 100. Wie geht’s jetzt weiter?

 

Wer jetzt die Hände in den Schoß legt und „Geschafft“ sagt, ist so naiv, wie ich es nach dem Abitur war. Jetzt geht es erst richtig los. Euer Neuzugang ist jetzt eine feste Größe im Team, will sich vollends entfalten und nimmt Einfluss auf die Unternehmenskultur.

Und auch wenn die Beziehung jetzt soweit gefestigt sein sollte, dass sie der alltäglichen Belastung, wohl kaum zu vermeidenden Konflikten und schmeichlerischen Wechselangeboten ohne weiteres stand hält – dranbleiben lohnt sich. Weiter zuhören. Fördern, wo es nötig ist und wo es geht. Aber auch fordern, wenn was nicht passt. Augenhöhe verlangt beidseitigen Respekt und ist, meine ich, mit das Wichtigste für eine funktionierende Arbeitsbeziehung.


Welche KPIs oder andere Eckdaten gibt es, um ein erfolgreiches Onboarding zu messen?

 

KPI Nummer 1 ist Tag 101. Also das beiderseitige „Bestehen“ der Probezeit. Alles andere hängt stark von den Unternehmenszielen, der Aufgabenstellung und der Entwicklungsstrategie einer Organisation ab. Wir bewegen uns hier in einer sehr komplexen Gemengelage. Zu viele Unbekannte sind von Anfang an mit im Spiel. Und täglich kommen neue dazu.

Von großem Wert ist eine saubere Dokumentation des Onboarding-Prozesses. Denn sie ermöglicht einen klaren Blick auf die Schnittstelle von Mensch, Rolle, Team und Organisation. Um so mehr, wenn der Blick von außen kommt.

Aus neutraler Perspektive hilft sie, mögliche toxische Faktoren im System auszumachen. Was zum Beispiel wichtig wird, falls Neuzugänge selten bleiben. Zugleich gibt sie Anhaltspunkte um für die Zukunft sinnvolle Anpassungen vornehmen und Verbesserungen in die Wege leiten zu können.

Ein Schatz also, den man im Sinne einer positiv besetzten Employer Brand und einer nachhaltigen Personalentwicklung mit Leichtigkeit und vergleichsweise kleiner Investition heben kann und - meine ich - auch sollte. Es lohnt sich. wischen der Zusage und dem ersten Arbeitstag. Für jeweils über drei Viertel der Frischangestellten sind in dieser Phase ein zeitnahes Vorliegen des Arbeitsvertrags und ein Ansprechpartner aus der Personal- oder Fachabteilung wichtig. Rund die Hälfte wünscht sich in dieser Zeit weitere  Informationen zum Unternehmen und zur neuen Stelle. Etwa ein Drittel würde gerne auch schon an Firmenaktivitäten teilnehmen.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben