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„Ein Grundrauschen ist deutlich zu hören“ – Auf Jobsuche während Corona

Wie beeinflusst die Pandemie den Arbeitsmarkt in der Kreativbranche? Dieser Frage haben sich die Designerdock-Geschäftsführerin Ulrike Schwarzenberg aus Frankfurt und der Designerdock-Geschäftsführer Robert Mende aus Hamburg im Interview mit der Autorin Elisabeth Wirth gestellt. Ein Gespräch über die Stimmung in den Agenturen in Nord und Süd, digitale Recruitingprozesse, Selbstfürsorge und Vertrauen.

Über neun Monate dauert die Corona-Pandemie inzwischen an. Wie ist die Stimmung in der Kreativbranche?

Ulrike: Insgesamt nehme ich bei uns im Rhein-Main-Gebiet die Stimmung als besonnen und relativ gelassen wahr. Auch wenn sich ein bisschen Nervosität breit macht, weil man nichts mehr planen kann. Das sehe ich vor allem bei den Freelancer*innen, denen durch die Pandemie die Aufträge teilweise massiv weggebrochen sind. Mein Eindruck ist, dass viele Agenturen, auch durch Mittel wie Kurzarbeit oder andere Förderungen, bisher relativ gut durch die Krise kommen. Viele Agenturen, die ich kenne gehen davon aus, dass die Krise mit dem Ende der Pandemie vorüber gehen wird. Aber natürlich kommt es auch sehr darauf an, welche Etats eine Agentur betreut. Gelitten haben Agenturen in den Bereichen Gastronomie, Tourismus, Automobil oder Luftfahrt. Hier ist die Durststrecke länger. Food, Healthcare, Finanzdienstleistungen sind auch in diesem Jahr attraktive Budgets, die teilweise sogar Business as usual ermöglichen.

Wie sieht es bei euch in Hamburg aus?

Robert: Eine schwierige Frage. Ein Effekt des letzten Jahres ist, dass ich vorsichtiger geworden bin, ein abgeschlossenes Bild zu zeichnen. Ich sehe tatsächlich auch nur einen Teil der Branche. Die Lage ist sehr dynamisch, es gibt viele Fragen, Versuche, unter den schwierigen Umständen Lösungen zu finden. Ich habe den Eindruck, dass viele Agenturen gerade sehr pragmatisch vorgehen. Natürlich gibt es die Ausnahmen, Bereiche die super funktionieren wie zum Beispiel auch Streaming, E-Commerce, Gaming. Doch in vielen Agenturen scheint es derzeit mehr darum zu gehen, die Strukturen und eine optimistische Kultur zu erhalten, auf Sicht zu fahren, vernünftig, fair und gesund miteinander umzugehen. 

Was könnt ihr beobachten, wie hat Corona die Kreativbranche insbesondere als Arbeitsmarkt verändert?

Robert: Mit der Pandemie zeigt sich, dass Marketingbudgets sehr beweglich - eine Manövriermasse - sind. Auch wenn die Agenturen natürlich sagen, in der Krise ist es umso wichtiger, sich zu zeigen, überlegen Marken sehr genau, ob sie eine Kampagne oder einen Relaunch machen. Die Pandemie hat die Digitalisierung in der Branche noch einmal enorm gepusht. Sie wird sicher in vielen Agenturen auch über Corona hinaus noch viel verändern.

Ulrike: Ich sehe, dass sich viele Agenturen verschlanken, von den Prozessen, Kosten und Produktionsabläufen bis hin zur Raumplanung. Corona hat zu mehr Effizienz gezwungen und das wird wohl so bleiben.?Was das Recruiting betrifft, war ich überrascht, wie viele Bewerbungsverfahren komplett digital abgewickelt wurden – teilweise sogar vom Vorstellungsgespräch bis zum Abschluss des Vertrags. 

Apropos Recruiting, worauf müssen sich Jobsuchende momentan einstellen?

Ulrike: Für viele Agenturen im Rhein-Main-Gebiet lief das Geschäft in den letzten Jahren extrem gut. Daher gibt es nach wie vor ein genügend großes Angebot an interessanten Jobs, ein Grundrauschen ist deutlich zu hören. Aber natürlich hat sich nicht nur der Bewerbungsprozess verändert. Kreative sollten sich gut überlegen, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für eine berufliche Veränderung ist. Sie brauchen etwas mehr Geduld und sollten sich nicht blind auf Jobs bewerben. Es kommt sehr drauf an, wo man sich bewirbt. Daher sollte man prüfen, wie es hinter den Kulissen aussieht und wie zukunftsfähig die Branche und Etats sind. Da können wir natürlich helfen.

Robert: Hier in Hamburg ist der Personalmarkt derzeit reduzierter. Die Kurzarbeit hat viel genutzt und geholfen, die Strukturen zu erhalten, sie engt aber auch Spielräume zum Beispiel beim Recruiting ein. Bei den Kreativen nehme ich eine veränderte Sicht wahr. Im Bild der Bedürfnispyramide rutschen die Ansprüche ein, zwei Ebenen runter. Da ist der Erhalt von Strukturen, von Sicherheit wichtiger, ihr Bedürfnis nach Selbstverwirklichung stellen viele gerade etwas zurück. Wie die Arbeitgeber haben sie das Interesse, ihre Agenturen zu stabilisieren.

Das klingt, als sei die Jobsuche derzeit kein ganz großes Thema. Was rätst du denen, die sich dennoch beruflich verändern wollen?

Robert: Ich denke, es gibt viel Ungewissheit und mehr Fragen als Antworten. Derzeit geht es mehr darum, durchzuhalten, geduldig zu sein, sich so einzurichten, dass man die Phase gut übersteht. Was macht stark? Wie kann man mit Angst und Panik gut umgehen? Weil die Spielräume kleiner sind, sollte man die Abwartebereitschaft vergrößern. Für die, die sich umorientieren müssen ist es hilfreich, in den Bereichen zu schauen, in denen Bewegung drin ist.

Ulrike, hast du noch einen Tipp für Kreative, die den Umständen zum Trotz beruflich neu starten wollen?

Ulrike: Es kann sich auch jetzt lohnen, die Fühler auszustrecken. Zum Beispiel, wenn man sehr unglücklich ist oder einen Arbeitgeber hat, dem es wirtschaftlich schlecht geht. Ich rate aber dazu, sehr reflektiert und strategisch an die Jobsuche heranzugehen. Und zu vertrauen, dass mit Erholung der Wirtschaft die Lage wieder besser wird. Insgesamt sieht der Markt nicht schlecht aus. Es wird, auch durch den demografischen Wandel, langfristig hervorragende Karrierechancen geben.

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