©pic by Pedro Palmeira

Fachkräftemangel inmitten einer Wirtschaftskrise?

Der Fachkräftemangel ist längst kein abstraktes Problem mehr, sondern eine Realität, mit der Unternehmen tagtäglich konfrontiert sind. Inmitten einer Wirtschaftskrise müssen sie jedoch auch mit begrenzten Ressourcen jonglieren. Wie gelingt es Unternehmen in der Kreativbranche, trotz dieser Herausforderungen die besten Talente zu finden und zu halten? Wir haben uns mit Pedro Palmeira, dem Head of HR bei CodeRed, zusammengesetzt, um genau dieser Frage auf den Grund zu gehen und Einblicke in die Praktiken und Strategien der Branche zu erhalten.

 

Woran denkst du, wenn du von Fachkräftemangel hörst?

 

– Wenn vom Fachkräftemangel die Rede ist, denke ich an einen komplexen Sammelbegriff, der angesichts der Herausforderungen der Globalisierung heute mehr denn je Relevanz für unsere Wirtschaft hat und immer auch technologischen Wandel und demografische Veränderungen impliziert.

 

Auf der einen Seite wird Talent gesucht, auf der anderen Seite sinken die Budgets. Wie beeinflusst sich das gegenseitig?

 

– Genau mein Humor. Als wenn die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau nicht schon schwer genug ist. Nein, das darf auch nicht zu viel kosten. Aber Spaß bei Seite, viele Unternehmens- und Personalentscheider haben leider noch immer nicht verstanden, dass Mitarbeiter sich heute mehr denn je aussuchen können, wo sie arbeiten. Es braucht daher heute nicht nur mehr Budget, sondern allgemein mehr Verständnis für die Komplexität der Personalbeschaffung. Zusätzlich braucht es eine stärkere Bereitschaft aus den einzelnen Fachbereichen, um die Recruiter bei dieser Aufgabe tatkräftig zu unterstützen. Das fängt meiner Meinung nach bereits bei der Stellenausschreibung und der Erstellung eines geeigneten Kompetenzprofils an und hört mit dem Bewerbungsgespräch nicht auf.

 

Welche Erwartungen haben Bewerber*innen heute an den Job? Sind sie sich der Krisen bewusst?

 

– Nein, sehr wenige Bewerber befassen sich wirklich mit den Herausforderungen der Unternehmen, bei denen sie sich bewerben. Sie wollen auch nicht wirklich von Krisen oder Problemen hören, da sie doch selbst ein Problem zu lösen haben – nämlich den idealen neuen Job zu finden. Der soll nicht nur gut bezahlt werden, sondern auch sinnerfüllt und work-life-balanciert sein und den Mitarbeitern dabei helfen, sich privat und persönlich in jeder Lebenslage optimal zu entfalten. Das sage ich ohne Ironie, denn genau das ist es, was wir derzeit an den Unis dieser Welt lehren: Ihr werdet da draußen gebraucht, ihr werdet begehrt, und ihr seid besser ausgebildet als jede Generation vor euch. Bewerber haben ihr Auftreten im Vergleich zur Vergangenheit daher deutlich verändert. Sie verschieben das Machtverhältnis. Sie sind aber auch ehrlicher und kommunizieren viel besser ihre eigenen Erwartungen. Ich habe persönlich sehr gute Erfahrungen damit gemacht, wenn die gleiche Portion Ehrlichkeit auf Unternehmensseite herrscht und man sich gegenseitig nichts Falsches vormacht. Zwar reduziert es deutlich die Bewerberanzahl für die nächste Interviewphase, doch es steigert enorm die Kompatibilität derer, die im Prozess bleiben. Am Ende können so Menschen zusammenfinden, die kommunikativ und beruflich besser zueinander passen.

 

Und was erwarten Agenturen von den Menschen, die sich bewerben? Hat sich hier in der aktuellen Situation etwas geändert?

 

– Hier gibt es signifikante Unterschiede. Ich denke, dass viele Agenturen realisiert haben, dass bei der Bewerbersuche deutlich mehr Kompromisse nötig sind als noch vor wenigen Jahren. Trotzdem tun sich meiner Meinung nach noch zu viele Unternehmen schwer damit, ihre Erwartungen, die Prozesse in den Agenturen selbst oder im Bewerbungsprozess anzupassen. Einige glauben noch immer, dass sie die richtigen Mitarbeiter mit einer Kaffee- oder Obstflatrate locken.

 

Welche Art von Fachkompetenz fehlt in den Agenturen?

 

– Hier gibt es keine globale Basiskompetenz, da fachliche Kompetenzen sehr stark von der einzelnen Position, der Branche oder dem Unternehmen abhängig sind. Ich denke aber, dass soziale Kompetenzen, vor allem bei Führungskräften, Mangelware sind. Das Problem ist aber hausgemacht, da häufiger eher die fachliche Expertise als die sozialen Skills für Beförderungen ausschlaggebend sind. Außerdem gibt es zu wenige Gelegenheiten, Fachkräfte aus dem operativen Geschäft herauszunehmen und sie in puncto soziale-, kommunikative- oder Führungskompetenz weiterzuentwickeln.

 

Und wie gehen die Agenturen mit der Suche um? Welche Strategien können sie fahren?

 

– In den meisten Fällen stehen sich zwei Ansätze gegenüber: internes oder externes Recruiting. Für ersteres braucht es meiner Meinung nach eine solide Unternehmensgröße oder zumindest eine hohe Fluktuation. Anderenfalls fahren kleine Unternehmen tatsächlich besser und günstiger damit, diese Dienstleistung extern einzukaufen. Bei externen Personaldienstleistern wiederum wird häufig nur eine zu hohe Vermittlungsgebühr gesehen – das ist aber oft zu kurz gedacht. Addiert man nämlich die reell anfallenden internen Aufwände – von der Erfassung der Vakanz bis zur Einstellung – wären viele verblüfft, wie hoch die tatsächlichen Kosten sind. Meiner Erfahrung nach tun dies aber die wenigsten Unternehmen. Vielmehr glauben sie, dass sie Kosten einsparen, wenn sie sich alleine der Aufgabe stellen. Ein Vorteil des externen Recruitings: Personaldienstleister können häufig mit einem großen Pool an Bewerbern oder mit einem größeren Team an Active Sourcern und Recruitern punkten und somit die Time-to-Hire deutlich verkürzen. Meine Idealvorstellung ist die Kombination beider Wege, denn nur dann treten alle Beteiligten in einen echten Dialog miteinander. Ich habe oft erlebt, dass hier eine Art Konkurrenzdenken herrscht, anstelle die Potenziale beider Konzepte zu vereinen.

 

Die Werbebranche bewegt sich so schnell, Plattformen und Technologien verändern sich rasant. Wie gehen Bewerber*innen damit am besten um?

 

– Ich bin erstaunt, dass viele Menschen immer noch glauben, dass ihre Ausbildung oder ihr Studium ein lebenslanges Patent für Expertise ist. Oder dass das Thema Weiterbildung in die Verantwortung des Arbeitgebers fällt. Ich empfehle beruflich wie privat oft, dass man sich auf dem Laufenden hält und eine intrinsische Motivation dafür entwickelt, sich ständig Neues beizubringen. Das führt meiner Meinung nach unweigerlich dazu, dass man im Vorteil gegenüber anderen ist, aber vor allem einen kompetenten Beitrag für das Unternehmen leisten kann.

 

Welche Rolle spielen KI und Automatisierung für den Fachkräftemangel? Entstehen hier neue Jobs mit neuen Skillsets?

 

– Ich habe vor wenigen Tagen im "Tagespost” einen sehr interessanten Artikel von Dr. Thomas Rusche mit dem Titel "KI geht aufs Ganze" gelesen. Der Autor beschreibt KI als Fluch und Segen zugleich, vor allem aber als etwas, was nicht mehr zu stoppen ist. Ich denke, das bringt es auf den Punkt, da sich jeder einzelne dringend mit zentralen Fragen befassen muss: Was liefert KI mir in meiner beruflichen Rolle? Inwieweit kann ich dadurch einen besseren Job machen? Und was bedeutet es langfristig für meine Rolle? Nur so kann das Zusammenspiel von KI und Mensch ein Happy End haben. Fragen wir uns solche Dinge nicht, sind wir nicht selbstkritisch und ehrlich zu uns selbst. Dann kann es sein, dass wir uns nicht schnell genug weiterentwickeln und schneller abgehängt werden, als uns lieb ist.

 

Wie stehst du zu Weiterbildungen oder einem Karrierewechsel?

 

– Das sind zwei sehr unterschiedliche Themen. Während von der Weiterbildung Mitarbeiter und Unternehmen zugleich profitieren können, ist der Mehrwert beim Karriere- oder Jobwechsel sehr individuell. Beides kreiert aber auch oft ein Spannungsfeld: Fast wie in einer privaten Beziehung kommen Mitarbeiter und Unternehmen erst für neue Abenteuer aus der Komfortzone. Glücklicherweise nehmen aber immer mehr Unternehmen das Thema Weiterbildung ernst und bieten ihren Mitarbeitern – sogar oft uneigennützig – ein breites Angebot an Fort- und Weiterbildungen an und tragen so zur Entschärfung des Problems bei.

 

Was würdest du Talent heute an die Hand geben? Welche Tipps hast du?

 

– Frage dich selbst, was dich antreibt und was deine Leidenschaft ist. Sei neugierig, sei offen für neue Erfahrungen und nutze jede Gelegenheit, um dich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln.

 

Und welchen Tipp würdest du Unternehmen in der Kreativbranche geben?

– Meine Beobachtung ist, dass sich Unternehmen in der Kreativbranche noch offener und innovativer ihrer eigenen Unternehmenskultur widmen sollten: Sie pflegen und den Mitarbeitern ermöglichen, kreativ zu sein und sich auszudrücken. Sie sollten außerdem in die Entwicklung ihrer Mitarbeiter investieren und sie dazu ermutigen, sich kontinuierlich weiterzubilden und neue Fähigkeiten zu erlernen. Und ja, dafür braucht es Budget.

Kommentare (3)

  • Firas Zoubi
    am 22.05.2024
    Ein wichtiger und sehr hilfreicher Beitrag über die Herausforderungen und Chancen des modernen Arbeitsmarkts. Obendrein ein sehr eloquent geführtes Interview mit nachvollziehbarem Inhalt. Vielen Dank,

    Firas Zoubi
  • Aurel
    am 24.05.2024
    Hallo,

    ... vielleicht wenn man den Home Office Abschaffung nicht so pushen würde, man würde sich die Chancen neue und Talentierte Creative dazu zu gewinnen. Ist nur meine Meinung :D.

    LG
    Aurel
  • Stephan
    am 19.06.2024
    Schönes Interview, danke!
    Geschwindigkeit ist einfach so wichtig, speziell im Hiring. Mitarbeiter und Kunden sollten nicht wochenlang warten müssen, weil interne Entscheidungswege hacken.

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