Was machen Werber die über 45 sind?

e style="text-align: left;">Henning Patzner, CD/Konzepter /Kreativitätstrainer und Betreiber des Blogs »Neues vom rechten Stirnlappen« interviewte den Geschäftsführer Robert Mende von DESIGNERDOCK Hamburg.

 

1. Wie alt kann man in der Werbebranche als Kreativer werden? Ab wann muss man sich einen Plan B überlegen?

 

Selbstverständlich hat jeder die theoretische Chance, als toller Kreativer oder Berater bis an sein Lebensende erfolgreich in einer Agentur oder als Freelancer sein Geld und auch noch Ruhm und Ehre zu verdienen. Auf der anderen Seite gibt es ein paar Zahlen, die in eine andere Richtung weisen: Eine aktuelle Umfrage von Designerdock (Ende 2009) hat gezeigt, dass etwa 80% der Mitarbeiter in Agenturen unter 40 sind, etwa 60% sind zwischen 25 und 35 Jahre alt. Agenturen in Deutschland scheinen also Arbeitnehmer zu bevorzugen, die sich eher in der Aufbauphase ihrer Berufstätigkeit befinden: hochmotiviert, sehr belastbar, mit noch relativ geringem Gehalt, sprudelnd vor Energie und wenig abgelenkt durch Familienplanung oder gar Kinder. Sicher wäre es daher nicht schlecht, spätestens mit Mitte 30 mal einen gründlichen Blick auf die Lebens- und Berufsplanung zu werfen und sich kritisch zu Fragen, was man wohl in 10 Jahren macht.

 

2. Wieso gibt es in den USA jede Menge Kreative, die 50 sind - nicht aber in Deutschland?

 

In amerikanischen Filmen sehen die Werber immer eher so aus wie Bankangestellte und selten wie Streetkids. Das ist ja eher das Image, das viele, vor allem sogenannte "kreative Werber", hier pflegen. "Erwachsen" zu werden scheint ja für viele Werber in Deutschland immer noch problematisch zu sein und ist scheinbar mit der Angst verbunden, dann nicht mehr in die Branche zu passen. Und das meine ich nicht nur in Hinblick auf den Kleidungsstil, sondern auch in Hinblick auf die Unternehmenskultur von manchen Agenturen. Vielleicht sind amerikanische Agenturen in diesem Sinne "erwachsener" und können deswegen auch "ältere" Mitarbeiter gut vertragen, die idealerweise ja Erfahrung mit Kreativität kombinieren können und dafür sehr respektiert werden.

 

3. Was machen ehemalige Kreative aus der Werbebranche, wenn sie nicht mehr in der Werbung arbeiten?

 

Es gibt viele Frauen, die die Gründung einer Familie zum Anlass nehmen, sich mehr oder weniger aus der Berufstätigkeit zurück zu ziehen, oder zumindest ihre Karriere nicht weiter so intensiv verfolgen wie vor der Mutterschaft. Sie suchen dann eher nach Halbtags-Beschäftigungen oder Freelancen. Da es sich ja zum Glück oft um kreative Menschen in der Branche handelt, gibt es sicher auch einen überdurchschnittlich kreativen Umgang mit dieser Frage. Von der Eröffnung einer Pension bis zur Coaching-Ausbildung gibt es sehr verschiedene Beispiele, die sich nur schwer in bestimmten Kategorien zusammen fassen lassen. Ich habe viele, spannende gastronomische Konzepte gesehen, oder Projekte in vergleichbaren Gebieten. Ich kenne jemanden, der mittlerweile Schokolade und Pralinen herstellt, eine Bäckerei mit biologischen Zutaten oder einen Kaffeeröster. Andere haben den Schritt in die Kultur gewagt und sind Maler geworden oder schreiben Bücher. So ist z.B. eine ehemalige Kollegin mittlerweile erfolgreiche Kinderbuchautorin. Eine andere schreibt sehr lustige und geistreiche Bücher über Elternkrankeiten und über Probleme der über 30-jährigen. Gerade die Möglichkeit in unserer Branche zu Freelancen schafft auch große Freiräume, die für solche Entwicklungen genutzt werden könne, ohne dass man gleich komplett aussteigen muss und erst mal kein Einkommen mehr hat. Die intensive Beschäftigung mit sich selbst in einer solchen Krise führt oft zu Kompetenzen, die für andere hilfreich sein können. So gibt es einige erfolgreiche Business-Coaches oder freie Berater, die sich nicht mehr nur auf Kommunikation und Werbung beschränken, sondern z.B. anderen Gründern auf dem Weg in die Selbstständigkeit helfen.

 

4. Kennen Sie auch schlimme Einzelschicksale?

 

Mir sind ein paar sehr intensive Gespräche in Erinnerung, in denen meine Gesprächspartner ziemlich traumatisiert waren und nicht so ohne Weiteres einen Ausweg gesehen haben. Wirklich gute Leute, die eine solide Karriere hingelegt haben und aktuell in der wahrscheinlich teuersten Lebensphase stecken: Kinder schon größer aber noch nicht aus dem Haus, das auch noch ein paar Jahre abbezahlt werden muss. Der Job hat sie in den letzten Jahren zu mehr als 100% beansprucht, was neben anderen Defiziten auch dazu geführt hat, dass wenig Zeit blieb, mal in Ruhe über die berufliche Perspektive nachzudenken. Und in dieser Situation unerwartet gekündigt zu werden - und dass ohne eigenes Verschulden - ist schon ein schwierige Situation. Da braucht es viel Kraft und ein hilfreiches Umfeld, den Kopf wieder nach oben zu kriegen und motiviert und selbstbewusst zu bleiben.

 

5. Was raten Sie Kreativen, die auf die 40 gehen und merken, dass sie immer weniger gefragt werden?

 

Gründlich nachzudenken. Es ist vielleicht durchaus möglich, auch noch einmal einen neuen Job oder auch wieder mehr Buchungen zu kriegen, die grundsätzliche Tendenz wird aber wahrscheinlich eher negativ sein. Und deswegen hilft nur, den Horizont weit über die Branche hinaus auf zu machen und sich zu fragen, was man mit dem, was man kann, sonst noch machen kann. Oder was man sonst noch kann, mit dem sich beruflich etwas Neues anfangen lässt.

 

6. Gibt es Branchen, die total heiss auf Werber jenseits der 40 sind?

 

Ich kenne keine. Aber "total heiss" ist natürlich ein großes Wort. Als ich die Frage vor ca. 15 Jahren mal einem meiner Chefs gestellt habe, hat er mir begeistert von den älter werdenden, wohlhabenden Zielgruppen erzählt, die alle intensiv umworben werden wollen. Und dafür braucht man dann natürlich Werber, die ebenfalls älter geworden sind und sich genau in diese Zielgruppen hinein versetzen können. Das hörte sich nach einer rosigen Zukunft in Agenturen an. Die Analyse der Zielgruppen halte ich auch für richtig, nur die älteren Werber sind schwer zu finden in der Branche. Ich weiss, dass immer wieder die Idee besteht, man könnte ja dann auf Kundenseite wechseln oder in Verlagen und anderen "verwandten" Branchen arbeiten. Und ab und zu gibt es diesen Weg auch. Ich sehe allerdings keine großen Bewegungen in ein bestimmtes oder mehrere Berufsfelder, sondern eher eine Atomisierung in viele kleine und größere neue Berufsfelder.

 

7. Wie sieht die Zukunft aus? Werden die Werber aufgrund der Online-Kommunikation noch jünger? Was müsste in der Werbebranche passieren, dass 50jährige Texter wieder eine Chance auf ein Angestelltenverhältnis hätten?

 

Es gibt tatsächlich ein paar Anzeichen in unserer Recruiting-Arbeit, dass gerade die Online-Werber immer noch jünger sein sollen. Gerade bei den Kreativen gibt es die Vorstellung, dass die Leute, die z.B. mit den neuen Social Networks aufgewachsen sind, viel kreativer damit umgehen können als die älteren Werber, die die diese Medien erst noch "verstehen" müssen, bevor sie sie intuitiv erfassen und vor allem aktiv nutzen.

 

Und zu den 50jährigen Textern: Die Branche müsste die Qualitäten solcher Leute entdecken und gebrauchen können.

 

8. Und welche Qualitäten sind das im besten Fall?

 

Viel Lebens- und Arbeitserfahrung, persönliche Reife, gute persönliche Vernetzung in einem breiten Netzwerk, Führungserfahrung, Souveränitiät, Überblick, Coaching-Qualitäten. Und für die Texer und Arter gilt: beweglich und offen bleiben, nicht zynisch werden, eine positive Einstellung zu sich selbst und zum Job behalten, konstruktiv sein und bleiben, die seniore Rolle auch tatsächlich annehmen, wenn sich die Gelegenheit bietet.

 

9. Wieder sind die Werbetreibenden zur dritt unbeliebtesten Berufsgruppe gewählt worden. Was mag man an den Werbern nicht? Könnte das der Grund sein, warum sie deshalb nicht so ohne weiteres in andere Branchen wechseln können?

 

Es kommt mir fast so vor, als wenn das Pendel jetzt ein bisschen in die andere Richtung schlägt. In den 80ern und 90er Jahren waren Werber doch ausgesprochen selbstbewusst und hatten ein ziemlich attraktives Image. Dynamisch, unkonventionell, kreativ, intelligent - irgendwie auf jeden Fall immer ziemlich weit vorne. Die Agenturen hatten selten die Notwendigkeit, sich richtig um Nachwuchs kümmern zu müssen. Die richtigen Leute kamen schon von selber, und zwar mehr als man gebrauchen konnte. Das hat sicher viele Agenturen in in Ihrer Rolle als Arbeitgeber verwöhnt gemacht und wenig dazu beigetragen, dass sie sich als "Arbeitgeber-Marken" gut positionieren. Jetzt, wo auch die Kommunikationsbranche immer wieder von konjunkturellen Talfahrten erfasst wird, schauen potentielle Mitarbeiter kritischer auf die Branche und stellen fest, dass die Arbeitsbedingungen oft nicht die besten sind und die längerfristigen Perspektiven nicht gerade viel versprechend. Und am Ende geht es inhaltlich schließlich in der Werbung auch nur darum, dass Paletten vom Hof gefahren werden und nicht um Kunst oder Kultur, die ja doch andere Bedeutungsebenen haben. Das Image ist mittlerweile einfach nicht mehr sexy und viele gute Leute finden interessante, herausfordernde und sogar kreative Aufgaben z.B. in der Industrie oder sogar in Bereichen, die "wirklich" Sinn machen. Warum dann noch in Agenturen arbeiten, die oft harte Arbeitsbedingungen, weniger Geld und noch weniger langfristige Perspektiven bieten?

 

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