Schon im Jahr 2011 haben wir uns in einem Beitrag mit der Scheinselbstständigkeit beschäftigt. Scheinselbstständig ist eine Person, die als selbstständig gemeldet ist, aber eigentlich wie ein Arbeitnehmer tätig wird. Das Thema hat seine Aktualität aufgrund der Vielzahl freier Mitarbeiter insbesondere im Agenturbereich nie verloren. Die Vorteile einer selbstständigen Beschäftigung sind auf Auftraggeberseite offensichtlich. Die hohe Flexibilität, der Wegfall des Arbeitnehmerkündigungsschutzes und die Einsparung der vom Arbeitgeber zu tragenden Lohnnebenkosten führen weiterhin zu einer unverminderten Popularität von Dienst- und Werkverträgen. Diese Vorteile können die potentiell verheerenden Folgen einer Scheinselbstständigkeit für den Arbeitgeber oft vergessen machen.
Die Scheinselbstständigkeit ist besonders durch die Gesetzesinitiative der großen Koalition zur Neuregelung von Arbeitnehmerüberlassung, Werkvertrag und Dienstvertrag Ende letzten Jahres erneut in den Fokus gerückt. Den damaligen Entwurf des Bundesarbeitsministeriums haben wir in einem Beitrag Anfang des Jahres schon einmal besprochen. Das Gesetz sollte nach dem Zeitplan der Bundesregierung zum 1. Januar 2017 in Kraft treten. Höchste Zeit also für ein Update.
Mit dem Entwurf für § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sollte eine Vorschrift eingeführt werden, in der der Arbeitsvertrag gesetzlich geregelt wird. Dadurch wird indirekt auch die Scheinselbstständigkeit geregelt. Denn nach sozialversicherungsrechtlicher Definition ist jede nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, sozialversicherungspflichtig.
Nach dem Koalitionsvertrag sollte das Gesetz ausschließlich die bestehende Rechtsprechung zum Bestehen eines Arbeitsverhältnisses in einen Paragraphen gießen. Der erste Entwurf ging aber deutlich darüber hinaus und sorgte für Aufregung bei Selbstständigen und Auftraggebern. Es bestand die Befürchtung, Arbeitsverhältnisse würden über die Hintertür eingeführt, wo sie eigentlich keiner der Beteiligten haben wollte. Nach der jetzigen Fassung, die am 1. April 2017 Inkrafttreten soll, hat sich § 611a BGB gegenüber der ersten Fassung deutlich verändert. Er entspricht jetzt doch der bisherigen Rechtsprechung der Gerichte.
Weiterhin gilt: Bestimmt der Vertragspartner selbst über Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit, ist er in der Regel selbstständig. Kann er das nicht, ist er Arbeitnehmer. Entscheidend ist, die Ausführung, nicht der Vertrag. Denn nicht überall wo selbstständig drauf steht ist auch selbstständig drin.
Da die genannten Kriterien, die von den Gerichten noch weiter präzisiert werden, insbesondere bei Soloselbstständigen selten eindeutig in die eine oder andere Richtung beantwortet werden können, existiert dazwischen ein großer Graubereich. In diesem entscheiden – entweder auf Antrag oder aufgrund eines Verdachts nach einer Betriebsprüfung – zunächst die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) und im Klagefall die Sozialgerichte darüber, ob eine Sozialversicherungspflicht besteht.
Stellt eine Betriebsprüfung fest, dass es sich um einen Scheinselbstständigen handelt, können vom Arbeitgeber rückwirkend für bis zu 4 Jahre Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden. Zu zahlen sind vom Arbeitgeber in aller Regel sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung, meistens auch Lohnsteuer und Vorsteuer. Schadenersatzansprüche gegenüber dem Arbeitnehmer sind praktisch aussichtslos. Je nach wirtschaftlicher Stärke des Unternehmens und Anzahl der beschäftigten „Selbstständigen“ kann das schnell existenzbedrohend werden.
Sind sich die Vertragspartner zu Vertragsbeginn nicht ganz sicher, sollte eine genaue Prüfung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen. Jeder der Vertragspartner kann ein freiwilliges Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der DRV einleiten. Soll die selbständige Tätigkeit über einen längeren Zeitraum ausgeführt werden, ist es für den Arbeitgeber in Zweifelsfällen wichtig, das Verfahren spätestens innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit einzuleiten. Nur dann kann auf Antrag die rückwirkende Sozialversicherungspflicht für den Zeitraum vor der Entscheidung der DRV verhindert werden. Das Risiko hoher Nachzahlungen entfällt in diesem Fall für das Unternehmen. Wird die Statusfeststellung später beantragt, fallen während der gesamten Verfahrensdauer neue Nachzahlungen an. In diesem Fall wäre mit der Einleitung des Verfahrens durch die Beteiligten nichts mehr gewonnen, da sich dieses und die gerichtliche Auseinandersetzung über das Ergebnis mehrere Jahre ziehen kann.
Wichtig ist es bei diesen Verfahren, einen qualifizierten Anwalt hinzuzuziehen, da das Verfahren komplex ist und die Kriterien für die Feststellung einer Scheinselbständigkeit von der DRV sehr formalistisch gehandhabt werden.